Saarbrücken – Die französische Autorin Maria Pourchet war am Donnerstagabend auf Einladung des Frankreichzentrums der Universität des Saarlandes und der Buchhandlung Bock & Seip zu Gast in Saarbrücken. Im Rahmen einer zweisprachigen Lesung stellte sie in der ausverkauften Buchhandlung ihren Roman Toutes les femmes sauf une (Alle außer dir) vor, der 2024 in deutscher Übersetzung bei Luchterhand erschien. Die Moderation übernahm SR-Redakteurin Tilla Fuchs, die deutsche Lesung Juliette Ronceray.

Pourchet, geboren 1980 in Épinal, ist seit der Veröffentlichung von Feu (2021), nominiert für den Prix Goncourt, einer breiten literarischen Öffentlichkeit bekannt. Mit Western (2023) wurde sie mit dem Prix de Flore ausgezeichnet. Alle außer dir, bereits 2018 im Original erschienen, gilt als zentrales Werk ihres Schaffens und erlebt nun in Deutschland besondere Aufmerksamkeit.
Im Mittelpunkt des Romans steht Marie, eine 35-jährige alleinerziehende Mutter, die bei der Geburt ihrer Tochter Adèle mit ihrer eigenen Herkunft, der Erziehung durch ihre Mutter und überlieferten Rollenbildern konfrontiert wird. In einem inneren Monolog reflektiert die Protagonistin ihre Biografie, ergründet die Weitergabe von Zwängen und Erwartungen von Müttern an Töchter – und stellt die Frage, ob und wie sich dieser Kreislauf durchbrechen lässt.

Schon zu Beginn der Lesung wurde deutlich, dass Pourchets Text weit über das individuelle Erleben hinausweist. Die Autorin beschreibt eine Form symbolischer Gewalt, die sich in Sprache und Gesten über Generationen tradiert. Dabei kritisiert sie nicht ihre eigene Mutter, sondern das System, das diese hervorgebracht hat. Viele Sätze im Roman – etwa „Halt dich gerade!“ – stehen exemplarisch für eine Rhetorik der Disziplinierung, wie sie Mädchen über Jahrzehnte hinweg vermittelt wurde.
Pourchet sprach offen über den autobiografischen Ursprung des Romans. Sie schrieb ihn in einer Phase persönlicher Erschütterung nach der Geburt ihres ersten Kindes. Dabei sei es weniger um literarische Stilisierung als um ein existenzielles Ausdrucksbedürfnis gegangen. Der Text sei das Produkt eines Schocks, so Pourchet. Der Schmerz, die Entfremdung, die Hilflosigkeit im Kontext von Mutterschaft seien Erfahrungen gewesen, auf die sie niemand vorbereitet habe.
Im Gespräch mit Moderatorin Tilla Fuchs betonte die Autorin mehrfach, wie sehr das Schreiben für sie Mittel der Selbstermächtigung sei – auch gegen die Sprachlosigkeit, die sie in ihrer Kindheit erlebt habe. Literatur wurde für sie zur Rettung: zunächst durch das Lesen von Klassikern, dann durch das eigene Schreiben. Diese Prägung spiegelt sich in Pourchets distinktem Tonfall wider, der scharf, analytisch und zugleich zutiefst empathisch bleibt.
Die Mutter bleibt dabei sowohl Projektionsfläche als auch Gegenstand kritischer Auseinandersetzung. Dennoch endet der Roman versöhnlich – mit einer leisen Geste der Liebe zur Tochter und einem stillen Dank an die Mutter.

Die Lesung in Saarbrücken wurde nicht nur zu einer literarischen Präsentation, sondern zu einem intensiven Dialog über Emanzipation, Erziehung und die Kraft des Erzählens. Maria Pourchet zeigte sich dabei als präzise Beobachterin und furchtlose Erzählerin, die existenzielle Themen mit intellektueller Klarheit und stilistischer Dichte verarbeitet. Das Publikum dankte mit lang anhaltendem Applaus – und einem regen Austausch im Anschluss.

Maria Pourchet: Alle außer dir
Ausgabe: Hardcover, mit Schutzumschlag,
176 Seiten, 12,5×20,0cm
Erschienen am: 28.08.2024
Originaltitel: Toutes les femmes sauf une
Übersetzung: Aus dem Französischen von Claudia Marquardt
ISBN: 978-3-630-87782-2
Preis: 22 Euro