StartFeatureWenn’s nicht mehr weiter geht: Außeninsel!

Wenn’s nicht mehr weiter geht: Außeninsel!

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von Anja Kernig, freie Journalistin

* Namen geändert

Der naturpädagogische Auszeitort am Waldrand hilft Kindern, den Schultag zu überstehen

„Ist das in Ordnung, wenn sich der Peter* zu dir setzt, Justin*?“ Hmm. Justin hat grad keinen Kopf für Interaktion. Geschäftig führt er den Stift übers Papier. In der Frühlingssonne auf der Bank vor dem Bauwagen sitzend, füllt er Blatt um Blatt mit geometrischen Körpern: Konstruktionspläne für einen Roboter. Gebaut werden soll dieser aus Holz und Metall. Holz gibt es hier auf dem mit einer Art Benjeshecke umsäumten Gelände zum Glück in Hülle und Fülle. Keine 500 Meter Luftlinie von der Johannes Schule entfernt, verfügt die am Waldrand gelegene „Außeninsel“ weder über Strom noch über Wasser. Ohne Holz wäre man ziemlich aufgeschmissen. Zumal es nicht nur zum Heizen der nagelneuen Jurte benötigt wird. Fünftklässler Lukas* etwa, der mit seiner Integrationshelferin gerade mit reicher Beute vom Müllsammeln zurückkommt, dienen Äste und Zweige als Baumaterial für seine Hütte. Und Lukas II, der Neuntklässler, der nach einem verlorenen Fußballspiel gleich „voll aggro“ angestürzt kommen wird, kühlt sein Mütchen am effektivsten beim Hacken von Holzscheiten.

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Justin aber will daraus seinen Roboter bauen. „Mit Fernbedienung“, erklärt der Zehnjährige. „Und DSL-Modem.“ Justin ist täglich hier in der Außeninsel zu Gast. „Besser als normale Schule“, meint er. „Nicht so langweilig.“ Die ganze Wahrheit ist vielschichtiger. „Es wäre schwierig für die Klasse, wenn er dort die ganze Zeit bliebe“, sagt Tanja Endres-Klemm. Und meint eigentlich unmöglich. Die Waldorfpädagogin wurde eigens für die Außeninsel eingestellt. Zusammen mit Gartenbaulehrerin Ulrika Frank kümmert sie sich dort jeden Schultag von 9 bis 12 Uhr um Schüler der Johannes Schule, die regelmäßig oder situativ eine Auszeit benötigen. Und derer gibt es nicht wenige.

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Während früher überwiegend Kinder aufgrund ihrer Lernbehinderung nach Bildstock kamen, besuchen heute fast ausschließlich Mädchen und Jungen mit „Förderbedarf Sozial-Emotionale Entwicklung“ die Johannes Schule. „Diese Kinder tragen Unruhe und Angst in sich, sind oft nicht gruppen- und bindungsfähig, traumatisiert, seelisch krank“, zählt Tanja Endres-Klemm auf. Einigen ist es „immer wieder absolut unmöglich“, einen kompletten Vormittag in der „sozialen Enge“ ihres bereits sehr kleinen Klassenverbandes zu ertragen. Von den schulischen Anforderungen ganz zu schweigen.

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Diese Unfähigkeit drückt sich in aggressivem Verhalten aus. „Dann gefährden sich diese Kinder selbst und andere“, weiß Ulrika Frank. Weitere Symptome sind Rückzug nach innen, Angstzustände, kriminelle Aktivitäten oder sexualisiertes Verhalten. Ein Hilferuf! „Als Antwort darauf wurde bereits 2007 die Insel geschaffen“ – das Pendant zur Außeninsel im Schulgebäude. Diese entlastet den Schüler selbst wie auch Lehrer und Klassengemeinschaft und ist längst nicht mehr wegzudenken aus dem schulischen Alltag. Doch inzwischen genügt die „Inneninsel“ nicht mehr. Zusätzlich zur 2012 eingerichteten Waldklasse für Jugendliche ab 13 Jahren und der 2014 gegründeten Wiesenklasse für jüngere Schüler – beide mit naturpädagogischem Ansatz – bedurfte es einer erweiterten Insel in unmittelbarer Nähe der Schule. Hier, in einem „(schulisch) anforderungs- und wertfreien Raum“, wie ihn nur die Natur bietet, „fällt der Druck von den Kindern ab. Hier fühlen sie sich sicher und aufgehoben“, ist die Erfahrung der beiden Pädagoginnen.

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Jeder wird ganz individuell angesprochen. Den Rahmen bilden Routinen wie das gemeinsame Frühstück, bei dem man jeden Morgen nach einem Tischgebet eine Kleinigkeit isst und gemeinsam Yogi-Tee trinkt. Die Sinnsprüche auf den Pappaufhängern der Teebeutel wandern in ein Buch. Heute passt er besonders gut: „Jedes Kind ist eine Hoffnung für die Welt“, liest Justin vor. Zum regulären Ablauf gehören auch wiederkehrende Tätigkeiten wie Feuer machen oder Geschirr spülen. In der Jurte sitzt an diesem Vormittag John* aus der achten Klasse. Mit Unterstützung seiner Helferin verschriftet er den Unterrichtsstoff aus Physik. Es geht um Hebelwirkungen und Experimentieranordnungen.

Verwirklicht werden konnte die Außeninsel nur dank vieler, zuvorderst der Stadt Friedrichsthal und Saarforst, die Nutzung und Gestaltung des Geländes ermöglichten. Weitere Unterstützer waren Software-Stiftung, Damus Donata, Waldorf-Stiftung, Herzenssache, Saartoto, Spica-Stiftung, ProWin, Groß für Klein Friedrichsthal, Firma Schledorn, B.A.T., Saarländische Spielbanken, Saarländischer Sparverein und der Verein Psychosoziale Projekte „Ohne das großes Engagement unserer Kollegen, die dieses Projekt geplant und bis zur Ausführung tatkräftig und mit guten Ideen unterstützt haben“, wäre gleichwohl nichts draus geworden, betonen Tanja Endres-Klemm und Ulrika Frank.

Nur mit dem Roboter wird es wohl vorerst nichts. Kurz vor der Vesper zerknüllt Justin aus heiterem Himmel alle Pläne und pfeffert sie wütend gegen die Jurtenwand. „Ich schaff das nie“, macht er seinem aus dem Nichts aufgetauchten Zorn lautstark Luft. „Ich werde nie einen Roboter bauen.“ Die Erwachsenen bleiben gelassen und lächeln nach innen. Morgen ist wieder ein neuer Tag in der Außeninsel. Das wird schon.

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